Anett Kollmann

Autorin - Biografin - Literaturwissenschaftlerin



Luise von Toscana
1870 - 1947  
 


Es war einmal eine Prinzessin, hübsch und von ihrem Volk geliebt. Sie heiratete einen netten Prinzen, den sein Volk auch liebte, obwohl er ein wenig schüchtern war. Sie lebten nicht glücklich bis an ihr Ende ...           

Die Prinzessin hieß Luise, hatte noch zehn weitere Vornamen und war Kaiserliche Prinzessin und Erzherzogin von Österreich, Königliche Prinzessin von Ungarn und Böhmen und Prinzessin von Toscana. Ihr Vater Ferdinand IV., Großherzog von Toscana, war ein Fürst ohne Land, weswegen die Familie der Prinzessin als Gast eines Verwandten, des österreichischen Kaisers Franz Joseph, in Salzburg lebte. Die Prinzessin wurde streng erzogen, denn sie war eine Kaiserliche Hoheit.»Meine Erziehung war wirklich eine anstrengende Arbeit«, erzählt sie später, »ich hatte neun Stunden am Tag stillzusitzen und zu lernen«. Aber gerade das fiel der ungestümen Fürstentochter besonders schwer. Sie konnte sehr gut Reiten und beim Schlittschuhlaufen auf der Salzburger Eisbahn sah ihr das Volk immer voller Bewunderung zu. Es mochte seine Luise, weil sie den Armen half und sie häufig besuchte.

Es kam die Zeit, dass die Prinzessin verheiratet werden sollte. Ein Prinz aus einem fernen Land, Peter von Sachsen-Coburg und Gotha, der Neffe der brasilianischen Kaiserin, kam auf Brautschau vorbei, fand Luise aber noch zu jung. Später wird sie darüber froh gewesen sein, denn der Prinz wurde drei Jahre danach verrückt und musste für den Rest seines Lebens eingesperrt werden. Im nächsten Sommer ging Luise das erste Mal zum Ball. Er fand in einem wunderschönen Schloss am Wasser statt, wo sie mit ihren Eltern bei dem König und der Königin von Sachsen zu Gast war. »Von allem, was sich in Sachsen sah, war ich entzückt«, erinnert sie sich. Auch von Prinz Friedrich August, dem Neffen des Königs, der einmal seinen Thron erben würde. »Wir tanzten viel zusammen«, schreibt sie über ihre ersten Begegnung auf Schloss Pillnitz, denn er war nicht nur »sehr hübsch und schmuck in seiner hellblauen, mit Gold verzierten Husarenuniform«, sondern zudem "außerordentlich liebenswürdig und natürlich«. Auch Luise, mittlerweile 17 Jahre alt, hatte sich für ihren ersten Ball herausgeputzt. Sie trug ein Kleid aus blassrosa Seidenmousseline und einen Kranz aus Rosen von der selben Farbe in ihren dunklen Locken. Aber noch fand keine Hochzeit statt.

Vier Jahre später sollte Luise einen bulgarischen Fürsten heiraten, der ihr wie ein "Opernkönig" vorkam und auch ihrer Mutter nicht gefiel. Luise dachte immer noch an den sächsischen Prinzen, zu dem sie sich seit ihrem ersten Treffen »hingezogen fühlte«. Als er dann wirklich um ihre Hand anhielt, freute sie sich darauf, Königin zu sein: »Ich wünschte an einer Stelle zu stehen, wo ich Einfluß hatte, und der Gedanke, Königin zu werden, schmeichelte meiner ehrgeizigen Eitelkeit ... Meine Mädchenträume gingen dahin, die volle und ganze Liebe meiner Untertanen zu gewinnen«. Ein wenig Angst befiel sie doch, aber »die nähere  Bekanntschaft mit meinem Bräutigam ließ mich seine vielen ausgezeichneten Herzens- und Geisteseigenschaften erkennen, und diese Entdeckungen waren eine Quelle großer Freude für mich, da ich nun sicher war, daß meine Verbindung mit ihm ein Glück für mich bedeuten würde. ... Ich glaube nicht, daß es einen Mann mit edlerem und besserem Herzen wie ihn auf der Welt gibt. Seine Ritterlichkeit war ohne Tadel, und er betete mich an«. Die Hochzeit wurde mit aller Pracht gefeiert und dauerte drei Tage. Der Kaiser von Österreich hatte für die liebe Verwandte in seiner Wiener Hofburg 760 Gedecke auflegen lassen und von überall kamen die Diplomaten, um dem jungen Paar zu gratulieren. »Mach’s gut, Luise« rief ihr das Volk auf der Straße zu, als die Kutsche sie zu dem Kaiserlichen Privatzug brachte, mit dem die Jungvermählten in das Land des Prinzen reisten. Luise war ein wenig traurig, aber »wenn er mich so zärtlich mit seinen lieben, guten, blauen Augen ansah, fühlte ich, dass ich sehr, sehr glücklich war«. 

SO ETWAS TUT EINE PRINZESSIN NICHT 

Ihr neues Volk freute sich auf die junge Gemahlin ihres Prinzen und jubelte ihr zum Empfang herzlich zu. Der König hatte für den Prinzen und seine Prinzessin das Taschenbergpalais herrichten lassen, wo schon viele andere Thronfolger gewohnt hatten. Es roch noch ein bißchen nach Farbe und auch die Einrichtung gefiel Luise nicht, vor allem das »Boudoir mit seinen Eichenmöbeln und kupferfarbenen Damastbezügen und den schweren Vorhängen und Draperien«. Ihr weiß lackierter und mit rosa Blümchen verzierter Rokokosalon erinnerte sie an eine »mit rosa Zucker dekorierte, glacierte Torte«. Alles war sehr altmodisch, fand Luise. Aber das war nichts gegen die Familie und den Hofstaat im Reich ihres Prinzen. König Albert und Königin Carola waren freundlich, aber der Vater ihres Gemahls, Prinz Georg, hatte »kalte, kleine, blaue Augen, die mißtrauisch unter buschigen Brauen hervorschauten« und entsetzte Luise mit »seinen häßlichen Gummizug-Halbschuhen, die viel zu viel von den dicken, weißen, handgestrickten Strümpfen sehen ließen«. Er war ihr Schwiegervater und übernahm zugleich »die Rolle einer scharfen, unangenehmen Schwiegermutter«, denn seine Frau war früh gestorben. »Intolerant wie bigott, geistig beschränkt und engherzig« sei der Vater ihres Gemahls gewesen. Auch mit Friedrich Augusts Schwester konnte sie sich nicht anfreunden. Prinzessin Margarethe war sieben Jahre älter als sie, malte gern große Bilder und liebte Ameisen und Bienen. Sie tanzte und lief Schlittschuh wie Luise, sei dabei aber bei weitem nicht so elegant und geschickt, wie Luise spottete. Margarethe war nicht gut zu sprechen auf die Familie der Schwägerin, denn zweimal hatten habsburgische Prinzen statt einer Heirat mit ihr eine andere Braut gewählt. Der eine, Kronprinz Rudolph, Sohn der Kaiserin Sisi, hatte eine belgische Prinzessin geheiratet und sich vor kurzem mit seiner Geliebten erschossen. Der andere, Erzherzog Franz Ferdinand, wird später mit seiner Frau in Sarajevo einem Attentäter zum Opfer fallen. Ob Margarethe erleichtert war, dass sie die glücklosen Prinzen nicht geheiratet hatte, weiß man nicht. Es fand sich aber auch kein anderer Bräutigam und so wurde sie langsam ein verbitterter Blaustrumpf und zum unbeliebtesten Mitglied des Königshauses – ganz anders als Luise, die sofort die Zuneigung des Volkes auf ihrer Seite hatte, auch weil sie ständig Dinge tat, die sich für eine sächsische Prinzessin nicht ziemten.

Der Familie ihres Gemahls gefiel es gar nicht, wenn sie an der Hoftafel dem König zuprostete, im Theater leutselig aus ihrer Loge grüßte und sogar die Hand über die Brüstung reichte, den aufreizenden Tango dem sittsamen Walzer vorzog und auf einem Stiftungsball sogar eine Cotillon mittanzte, bei der die Tanzpartner per Zufall zueinander kamen und es sein konnte, dass sie sich mit einem ihrer Untertanen auf dem Parkett drehte. Eine Prinzessin tut so etwas nicht, eine Prinzessin darf so etwas nicht. Das hörte sie oft und es wurde getuschelt, dass sie manchmal Hausarrest bekam, wenn sie wieder einmal gegen eine der vielen Regeln des strengen spanischen Hofzeremoniells verstoßen hatte, nach dem man in der sächsischen Residenz lebte. Sie wollte frei leben und war sich gewiss, »daß ich mich als sehr störendes Element erwiesen haben muß, da ich nicht ihre Erwartungen erfüllte ... Jede Äußerung meiner Unabhängigkeit wurde mit Mißtrauen betrachtet«. Sie weilte gern bei ihren Untertanen, lief mit ihnen Schlittschuh, ging selbst einkaufen und probierte manchmal im später eigens nach ihr benannten Café Toscana von den konditorischen Köstlichkeiten. Noch heute kann man sich in dem Kaffeehaus an der Elbe Torten und Eis servieren lassen oder ganz in der Nähe mit der Standseilbahn zum Ortsteil Weißer Hirsch hochfahren, um von der Terrasse des Aussichtslokals "Luisenhof" auf die Stadt zu schauen. Der Prinzessin gefiel es, dass man Orte nach ihr benannte und auch die moderne Standseilbahn mochte sie. Sie begeisterte sich für neuartige Erfindungen und wollte deshalb auch unbedingt Radfahren lernen. Aber eine Prinzessin im »feschen Radlerkostüm« in die Pedale tretend auf den Straßen der Residenz, wo jeder sie sehen konnte, in der fürsorglichen Gesellschaft ihres amerikanischen Zahnarztes –  das ging dann sogar dem ihr wohlgesonnenen Königspaar zu weit. Erst als der Kaiser in Berlin seiner Schwägerin das Radeln erlaubte, mussten sie auch Luise ihren Spaß lassen. 

"DIE KRONPRINZESSIN IST MIT IHREM GELIEBTEN DURCHGEBRANNT!"

Die königliche Familie wurde immer ungehaltener gegenüber der eigensinnigen Prinzessin. Am liebsten wäre ihr Schwiegervater sie losgeworden, jetzt, nachdem sie ihre Aufgabe als Frau des zukünftigen Thronfolgers erfüllt und drei Prinzen und drei Prinzessinnen zur Welt gebracht hatte. Da starb König Albert, und Luise verlor mit ihm ihren einzigen Beschützer. Ihr Schwiegervater wurde zum neuen König gekrönt und Luise fürchtete, dass nun alles noch schlimmer für sie werden würde. Vielleicht hätte sie nur ein wenig geduldiger sein müssen, denn König Georg war betagt und starb zwei Jahre später. Doch Geduld zählte nicht zu den Tugenden der lebenslustigen Prinzessin und so packte sie noch im gleichen Jahr ihre Juwelen und floh aus der Residenz unter dem Vorwand, ihre Familie in Salzburg zu besuchen. 

Der König ließ verkünden: »Die Kronprinzessin hat in einem Zustand von krankhafter seelischer Erregung vor einigen Tagen Salzburg verlassen und sich unter Abbruch ihrer Beziehung zu Höchstihren Verwandten nach dem Auslande begeben«. Anderswo spottete man, die »seelische Erregung« trage einen Schnurrbart und schwarze Locken und meinte damit André Emil Giron, den belgischen Sprachlehrer der kronprinzlichen Kinder, der bis vor wenigen Wochen in den Diensten des sächsischen Hofes gestanden hatte. Monsieur Giron war ein gut aussehender, gebildeter und idealistischer Mann, 9 Jahre jünger als die Kronprinzessin. Vielleicht hatte sie in ihrer höfischen Einsamkeit einen Freund in ihm gefunden, wie sie selbst behauptete, vielleicht war er tatsächlich ihr Geliebter, wie alle anderen dachten. Der König und der Kronprinz unternahmen alles, um die Prinzessin zurückzuholen. Aber sie versteckte sich in einem Genfer Hotel und schickte ihre Verfolger auf falsche Fährten. Einmal nach München, wie ihren Kammerherrn, einmal nach Brüssel, wie ihre verhasste Oberhofmeisterin, die sie von Anfang bespitzelt hatte. Erst ein Kriminalkommissar fand die Flüchtigen und versuchte Luise nach Hause zu entführen. Doch die Schweizer Polizei vereitelte das Unternehmen und auch der internationale Haftbefehl, den der sächsische Regent wegen der verschwundenen Juwelen veranlassen wollte, und der Vorwurf der Kindesentführung – Luise war schwanger – machte die Sache nur noch peinlicher. Schließlich gab der Kronprinz auf, ließ sich schweren Herzens von seiner Frau scheiden und sicherte ihr eine Leibrente aus seiner Privatkasse zu.

Nachdem das Kind geboren war, nahm es der Königliche Leibarzt gewissenhaft in Augenschein. Da man eine ausreichende Ähnlichkeit mit dem Kronprinzen feststellte, begannen die Verhandlungen um die kleine Anna Monika Pia, denn sie sollte am sächsischen Hof aufwachsen. Luise wollte ihr Mädchen nicht hergeben, aber sie wollte auch ihre in Dresden verbliebenen Kinder besuchen dürfen. Einmal, zu Weihnachten, hatte sie es versucht, war jedoch vor der Schlosspforte abgewiesen und wieder außer Landes gebracht worden. Ein Jahr später fügte sie sich in einen Vertrag, der ihre Leibrente erhöhte, ein regelmäßiges Treffen mit den Kindern vereinbarte, aber auch die kleine Prinzessin nach Sachsen beorderte. Gleichzeitig legte sie ihre sächsische Staatsbürgerschaft nieder. Eine herbe Enttäuschung für ihre ehemaligen Untertanen, die bis dahin tapfer für ihre Luise gekämpft und immer auf ihre Rückkehr gehofft hatten. Sie protestierten bis Polizei und Armee eingriffen und warfen mit Steinen nach der intriganten Oberhofmeisterin und dem Innenminister. Sie schrieben Gedichte und Lieder, aßen Luisen-Torte, trugen Luisen-Krawatten, kauften Luisen-Bilder. Sie sammelten für eine Petition angeblich 100.000 Unterschriften und gründeten ein »Luisen-Comitee«, das 41.000 Mark für die zeitweise mittellose Prinzessin aufbrachte. Alles vergebens. Ihre Königin der Herzen kehrte nicht zurück: »Glanz und Schatten des Lebens habe ich kennengelernt, die Höhen des Glücks habe ich erreicht, in die Tiefen des Schmerzes bin ich hinabgestiegen, doch mein Blick wendet sich jetzt vertrauensvoll der helleren Zukunft zu«.

Luise nannte sich nun Gräfin Montignoso, dann Mrs. Toselli, nachdem sie in London den 13 Jahre jüngeren Komponisten Enrico Toselli geheiratet hatte. Sie wurde nicht glücklich mit ihm. Auch für Friedrich August endete es nicht gut. Sein Volk schickte ihn eines Tages weg, um sich fortan selbst zu regieren. Er verließ den sächsischen Thron 1918 angeblich mit den wahrhaft königlichen Worten: »Dann machd doch eiern Drägg alleene!«. Luises Bild stand bis zuletzt auf seinem Nachttisch.   



© Anett Kollmann 





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