Anett Kollmann

Autorin - Biografin - Literaturwissenschaftlerin



Kein Begräbnis für eine "Comoediantin"

“Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze”, behauptete Theaterstar Schiller noch 1798. Knapp vier Jahrzehnte zuvor ist der Prominenz des Bühnenvolks nicht einmal ein Platz auf dem Friedhof sicher    

Es war dunkel, als der Bauer Georg Möhle die selbstgezimmerte Totenlade mit seiner Schubkarre über die holprigen Laubegaster Wege schob. Die makabre Last war leicht, aber er würde dennoch Mühe haben, den entseelten Körper in seinem hölzernen Behältnis über die Friedhofsmauer zu stemmen. Er tat etwas Unerlaubtes, es war dennoch etwas Rechtes und Barmherziges. Der unfreiwillige Totengräber kannte die Frau in dem Sarg noch nicht lange, erst wenige Monate. Sie war mit Freunden aus Dresden geflohen, wo der Siebenjährige Krieg wütete und die preußischen Truppen mit ihrem Bombardement die einstmals stolze Barockmetropole in Trümmer legten. Ihre Freunde, der Königliche Leibarzt Dr. Löber und seine Familie, waren in dem zwei Stunden Fußmarsch von Dresden gelegenen Dorf Laubegast willkommen gewesen. Sie selbst hingegen hatte man nicht aufnehmen wollen. Schließlich hatte sich Möhle der von Strapazen und Krankheit geschwächten Frau angenommen. Eine “Comoediantin” soll sie früher gewesen sein, sogar die Prinzipalin einer eigenen Truppe, die sie mit strengem Regiment führte.

Caroline Neuber, die Neuberin, wie sie genannt wurde, war weit herumgekommen. Bevor die Bürger in der zweiten Jahrhunderthälfte sich selbst und ihre Befindlichkeiten auf der Bühne dargestellt sehen wollten und eigene Schauspielhäuser gründeten, war das Theater Fürstensache. Als junge Frau hatte die Neuberin noch vom legendären August dem Starken ein Privileg für ihre Truppe in Sachsen bekommen. Doch der Kurfürst starb bald und sie musste weiterziehen, nach Lübeck, Hamburg, Kiel. Bis nach Sankt Petersburg führte ihr Weg. Sie hatte das Glück, mit Ludwig Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel, Carl Friedrich Herzog Schleswig-Holstein-Gottorf und der russischen Zarin Anna immer wieder Herrscher zu finden, die ihre Truppe förderten. Unglücklicherweise starben jedes Mal ihre Gönner kurze Zeit später, und die Compagnie musste ihre Sachen zur Weiterreise packen.

Die junge Prinzipalin hatte Großes vor. Ihr Leben lang wird sie dafür kämpfen, aus dem Theater eine ernsthafte Angelegenheit zu machen und dem fahrenden Volk mehr Ansehen zu verschaffen. Theaterleute galten als Gesindel, das stehlend und hurend durch das Land vagabundierte, Gaukler mit zweifelhafter Moral und unsicherer Existenz, mehr Gauner als Künstler. Die Neuberin wollte eine neue Art von Theater zeigen, nicht die obszönen, mit viel Ochsenblut getränkten Spektakel wie sie die Konkurrenz in den aus groben Brettern zusammengenagelten Schaubuden zur Belustigung der Jahrmarktsbesucher aufführte. Auf ihrer Bühne sollte kein Hanswurst seine Zoten reißen. In einem Vorspiel machte sie 1737 der populären Figur öffentlich den Prozess, verurteilte sie zum Tode und ließ sie als Strohpuppe verbrennen.

Statt der plumpen Scherze sollten wohlgesetzte Worte das Publikum zu einem besseren Geschmack erziehen, Dichterverse, wie sie ihr zeitweiliger Gleichgesinnter Johann Christoph Gottsched aus dem Französischen übernahm oder wie sie der junge Gotthold Ephraim Lessing niederschrieb. Als eine der ersten hatte sie das Frühwerk des noch unbekannten Dramatikers zur Aufführung gebracht. Doch sie kämpfte ihren Kampf auf verlorenem Posten. Die Konkurrenz war gnadenlos und das Publikum wenig geneigt. Die Einnahmen blieben aus. Enttäuscht, aber dennoch stilvoll in Reimen wandte sie sich von der Bühne herab an jene, die “sehr viel getan zu meinem Untergang”: “Denn von der Schauspielkunst habt ihr sehr wenig Licht,/ weils Euch an Zärtlichkeit, Natur und Kunst gebricht”. Erschöpft und mittellos kehrte sie nach Sachsen zurück. Ihr Mann, der zeitlebens an ihrer Seite Teil der Compagnie gewesen war, starb bald. Und auch Caroline Neuber blieben nur noch wenige Monate bis auch sie 1760 gerade 63jährig im Haus des Laubegaster Bauern starb. Ein christliches Begräbnis hatte die Kirche ihr, einer vom fahrenden Volk, verweigert, und so musste der Mann, der ihr in ihren letzten Monaten Unterkunft gewährt hatte, dafür sorgen, dass sie zwar nicht in Würde, aber doch zumindest in geweihter Erde ihre letzte Ruhe fand.

Erst einige Jahre später, als deutsche Dichterheroen das Bühnenwesen geadelt hatten, wird man sich ihrer erinnern: “Zur Ehrung einer Frau voll männlichen Geistes, der berühmtesten Schauspielerin ihrer Zeit, der Urheberin des guten Geschmacks auf der deutschen Bühne wurde dieser Denkstein errichtet von ihren Freunden und Verehrern im Jahre 1776” steht auf dem steinernen Mal, das man in Laubegast für sich errichtete. Aber erst fast einhundert Jahre nach ihrem Tod, 1852, wird sich auch die Kirchgemeinde entschließen, die Aufstellung eines Grabsteines für die Theaterreformatorin auf dem Leubener Friedhof zu erlauben.  


© Anett Kollmann




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